Ein Geben und ein Nehmen: die Solarenergie in der Schweiz

Nationale Photovoltaik-Tagung 2020 (texte en français)

Nationalrat Roger Nordmann, 12.3.2020

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde

Der Photovoltaik gehört die Zukunft. Zu den Stärken unserer Branche gehört auch die Vision einer Zukunft, die anders ist als die Vergangenheit. Deshalb befasst sich unsere ganze Veranstaltung auch mit der Zukunft.

Allerdings muss man zuweilen auch zurückblicken, um den Weg in die Zukunft zu erkennen. Deshalb beginne ich mit der näheren Vergangenheit und komme dann nach und nach auf die Zukunft zu spre- chen.

15 Jahre verblüffenden Fortschritts

Als ich vor 15 Jahren begann, mich mit der Photovoltaik zu befassen, nahmen nur wenige Politiker das Thema ernst. Im Jahr 2004 produzierten die Solaranlagen 17 GWh. In der Umweltkommission mussten Yves Christen, Ruedi Rechsteiner und ich einen Trick anwenden, um die KEV auch für die So- larenergie zugänglich zu machen. Als in der Kommission des Nationalrats im 2006 darüber entschie- den wurde, kostete die Kilowattstunde Solarstrom noch 1 Franken, also 10 Mal mehr als heute. Zur Festlegung der für die Photovoltaik gesprochenen Mittel mussten wir alles auf die Karte Preissenkun- gen setzen. Das Ergebnis ist bekannt: eine phänomenale Begeisterung und viel zu lange Wartelisten.

Im Jahr 2010, als ich zum Präsidenten von Swissolar gewählt wurde, produzierten die Solaranlagen 83 GWh, also etwas mehr als 1 Promille des jährlichen Schweizer Stromverbrauchs. In meinem 2010 erschienenen Buch «Atom- und erdölfrei in die Zukunft» forderte ich 13 TWh Solarstrom – und wurde ehrlich gesagt nicht wirklich ernst genommen.

An der Photovoltaiktagung 2011, die einen Monat nach der Katastrophe in Fukushima stattfand, legte Swissolar ein genaueres Ausbauziel von 12 TWh bis 2025 fest, mit dem die Hälfte des Atom- stroms ersetzt werden sollte. Dies entsprach dem 150-fachen der damaligen Stromproduktion. Um dieses Ziel zu erreichen, hätte jedes Jahr 1 GW, also das 30-fache der im 2010 installierten Leistung, zugebaut werden müssen.

Als der Bundesrat im Mai 2011 seine Unterstützung des Atomausstiegs verkündete und ein Szenario präsentierte, das ziemlich genau unserer Vorgabe von 12 TWh entsprach, fiel ich fast vom Stuhl – ob- wohl der Zeithorizont der Regierung 2050 statt 2025 vorsah.

Rückblickend stellt dieser – übrigens von einer mehrheitlich weiblichen Regierung getroffene – Ent- scheid eine wichtige symbolische Wende dar, denn er beendete das Nischendasein der Photovoltaik. Die folgenden Jahre waren von langwierigen Auseinandersetzungen mit der Atomlobby geprägt. Mit der Einführung der Einmalvergütung per 2014, dem Recht auf Eigenverbrauch und der Erhöhung der Mittel verzeichneten wir 2013 im Parlament einen ersten Teilerfolg. Im Mai 2017 konnten wir an der Volksabstimmung einen grossen Sieg feiern.

Doch das alte Misstrauen war in der Energiestrategie 2050 immer noch ansatzweise spürbar. Dies liess sich aus zu hohen Preisschätzungen pro kWh und vor allem auch aus den Zwischenzielen heraus- lesen, die noch recht bescheiden waren: Der Bundesrat sah für 2020 eine Solarstromproduktion von

1.3 TWh und für 2035 nur 7 TWh vor.

 

Wo stehen wir heute? Im 2019 produzierten Solaranlagen nach meiner Schätzung zwischen 2.2 und

2.3 TWh, also fast das Doppelte des von der Energiestrategie 2050 festgelegten Ziels für 2020. In der Schweiz deckt die Photovoltaik heute demnach fast 4% unseres Stromverbrauchs.

50 GW erreichen

Trotzdem sind wir bei einem Ausbautempo von rund 400 MW pro Jahr noch nicht dort, wo wir sein müssten.

  • Zwar ist der Leistungszubau heute 13 Mal höher als im
  • Zwar wurden durch dieses Tempo die Zielsetzungen des Bundesrats für 2020 mehr als er- reicht.
  • Zwar übertraf das Zubautempo sogar um Haaresbreite die Voraussetzungen, um die Ziele 2035 des Bundesrats zu erreichen – und wir können schon in absehbarer Zukunft die feh- lende Produktion von Geothermie und Windkraft übers Jahr gerechnet

Doch das ist immer noch nicht genug – unter anderem, weil der Ausbau nicht ausreicht, um die im 2011 geforderte Jahresproduktion von 12 TWh für 2025 zu ermöglichen.

Vor allem aber ist es deshalb nicht genug, weil wir zu wenig Solarstrom produzieren, um dem Klima- wandel zu begegnen. Die Schweiz benötigt bis 2050 etwa 40 bis 45 TWh Solarstrom, um ihre Strom- versorgung und zugleich die Dekarbonisierung sicherzustellen.

Die Zubaugeschwindigkeit muss demnach um das 4- oder 5-fache gesteigert werden, um eine gegen- über heute 20 Mal höhere installierte Leistung, also 50 GW, zu erreichen. Dank Peak-Shaving ist das auch möglich, ohne das Stromnetz zu überlasten, da wir nötigenfalls die Einspeiseleistung verringern können. Doch auch die Produktionsüberschüsse im Sommer bergen ein grosses Nutzungspotenzial, beispielsweise für die saisonale Speicherung durch Power-to-X oder in Form von Wärme.

Es fällt auf, dass inzwischen immer mehr Kreise solche Lösungen unterstützen. Vor Kurzem hat die ElCom einen Bericht veröffentlicht. Darin betont sie, wie nötig es ist, rasch finanzielle Mittel bereitzu- stellen, um während des Rückbaus der AKWs die Stromversorgung im Winter sicherzustellen. Auch zeigt sie auf, dass die Solarenergie eine wichtige Rolle für die Stromversorgung in den Wintermona- ten zu spielen hat.

Lassen Sie mich für eine kleine Geschichte eine Klammer öffnen: Als ich kürzlich dem VSE-Vorstand mein Buch «Sonne für den Klimaschutz» vorstellen durfte, schenkte man mir zum Dank für die Prä- sentation einen Dinosaurier. Das war ein kleiner Hinweis und die Revanche für die kritischen Worte, mit denen ich vor vielen Jahren das Gremium als Dinosaurier bezeichnet hatte.

Kurz zusammengefasst besteht heute ein breiter Konsens darüber,

  • dass die Schweiz eine installierte PV-Leistung von 50 GW braucht;
  • dass die Photovoltaik in den Wintermonaten viel Strom liefern kann;
  • dass die Branche die nötigen Ressourcen bereitstellen kann, um die erforderliche Zubauge- schwindigkeit zu erreichen;
  • und dass wir bereit sind, die Lastspitzen im Sommer zu glätten, um eine unnötige Überlas- tung des Netzes zu verhindern, ohne dass dieses massiv ausgebaut werden

Mit anderen Worten ist die Sonne bereit, der Schweiz viel zu geben, und unser Land erwartet auch viel von ihr.

It takes two to tango

 

Doch damit dies nicht nur auf einer Powerpoint-Folie, sondern auch in der Realität funktioniert, braucht es zum Nehmen auch ein Geben.

Erstens gilt: It takes two to tango. Für den PV-Ausbau braucht es nicht nur Installateure, sondern auch Leute, die in eine solche Anlage investieren wollen.

Ihr alle seid nun bereit, den Sonnentango zu tanzen. Womit erreichen wir, dass die Kunden euch auf die Tanzfläche folgen?

Mit drei Dingen: Flächen, Motivation und einer gewissen Wirtschaftlichkeit.

  • Die Schweiz verfügt über eine riesige Auswahl an Flächen: Dächer, Fassaden und Infrastruk- turbauten. Das ist kein
  • Auch die Motivation ist vorhanden: Die Vorurteile sind inzwischen weitgehend vom Tisch – nicht nur bei den Vordenkern unter den Privatpersonen und Kleinunternehmern, sondern auch bei den früheren Dinosauriern im Energie- und Finanzsektor. Heute wollen alle vorwärts machen und das ist gut
  • Stellt sich also nur noch die Rentabilitätsfrage und damit einhergehend diejenige der An dieser Kreuzung zwischen Verstand und Geldbeutel liegt das Kernproblem.

Elektrizität essen wir nicht – doch wir alle brauchen sie auf vielfältige Weise, vom Kochen unserer Nahrung bis zum Vermitteln von Informationen, unserer geistigen Nahrung.

Die Stromversorgung ist hauptsächlich ein kollektives Gut: Die installierte Leistung muss für die ge- samte Bevölkerung sichergestellt werden, sonst bricht das Netz zusammen.

Deshalb lässt sich die Stromproduktion weder auf eine individuelle Angelegenheit beziehungsweise eine Frage der Moral reduzieren, noch vom Gesichtspunkt des Individuums oder persönlicher Autar- kie betrachten: Die Kosten wären viel zu hoch.

Die Solarenergie muss demnach wirtschaftlich so attraktiv sein, dass sich die Investition für alle lohnt.

Angesichts der heutigen Negativzinsen kann der Entscheid für jene Investoren durchaus interessant sein, die Liquiditätsverluste vermeiden wollen.

Wo Eigenverbrauch möglich ist, wird die Investition nun dank einer Kombination aus Einmalvergü- tung, Eigenverbrauch und Netzeinspeisung der Überschüsse attraktiv. Das ist der wichtigste Anreiz auf dem Schweizer Markt, über dem allerdings für dezentrale Stromproduzenten das Damokles- Schwert der Abnahmetarife hängt. Bei einer Marktliberalisierung würden auch sie markant sinken. Und schon jetzt garantiert das Gesetz ihr Niveau nicht wirklich, was sich auch in regional grossen Un- terschieden widerspiegelt.

Dieses Dispositiv besteht zwar bereits, hat aber zwei Haken.

Erstens ist man nach wie vor versucht, nur einen kleinen Teil statt seiner ganzen Dachfläche einzude- cken, denn man hat zu oft eine engstirnige Wirtschaftlichkeitsrechnung vor Augen. Eine Solaranlage auf der Hälfte der Dachfläche bleibt aber wahrscheinlich die nächsten 40 oder 50 Jahre so bestehen, wodurch 50% des Potenzials ungenutzt bleibt. Eine Erweiterung auf die gesamte Fläche dürfte dann erst bei der Erneuerung der PV-Anlage in Betracht kommen.

Zweitens müssten zwingend auch Gross- und Infrastrukturanlagen ohne Eigenverbrauch gebaut wer- den, um die Ziele zu erreichen. Dieser Markt ist in der Schweiz jedoch fast vollkommen blockiert.

 

Wie weiter?

Im Februar hat die Energiekommission des Nationalrats dieses Problem endlich erkannt. Als Reaktion auf einem Vorschlag von Nationalrat Mathias Reynard hat sie einstimmig einem Vorstoss für eine Ge- setzesrevision zugestimmt, mit der die Einmalvergütung für Anlagen ohne Eigenverbrauch erhöht und Investitionen angekurbelt werden können. Das ist ein wichtiger erster Schritt, der den Markt rasch freigeben könnte, sofern die Energiekommission des Ständerats dieser parlamentarischen Initi- ative grundsätzlich grünes Licht erteilt.

Wenn der Vorstoss rasch umgesetzt wird, könnten jährlich bald 200 MW Leistung zugebaut werden. Das entspricht 1000 Dächern auf Landwirtschaftsbauten à 200 kW pro Jahr. Die parlamentarische Ini- tiative ist ein kurzfristiges, einfach umzusetzendes Korrektiv, das mit wenig Aufwand viel Wirkung er- zielen kann, wie das Ernten von «low-hanging fruits».

Doch auch das reicht nicht aus: Mit der Einmalvergütung für Kleinanlagen, derjenigen für Grossanla- gen und dieser neuen Einmalvergütung für Anlagen ohne Eigenverbrauch schaffen wir vielleicht

800 bis 1000 MW im Jahr. Um mehr zu erreichen, müssen in Zukunft auch schwierigere Flächen wie Parkfelder, Lärmschutzwände, Eisenbahn- und Autobahnböschungen sowie Gebäudefassaden für PV- Anlagen genutzt werden. Vorschläge des Bundesrates in diese Richtung stehen noch aus.

Dabei sind viele Anreizsysteme denkbar und können auch gleichzeitig angewandt werden, beispiels- weise Investitionshilfen oder eine über 15 bis 20 Jahre gesicherte Einspeisevergütung, ähnlich wie die KEV oder in Form eines Differenzkontrakts (contract for difference).

Eins ist sicher: Im Fall einer vollständigen Liberalisierung hätten die Stromnetzbetreiber keine gebun- denen Kunden mehr und es wäre technisch nicht mehr so einfach möglich, sie zur Abnahme der Überschüsse aus erneuerbaren Energien zum Preis von 7 oder 8 Rappen zu verpflichten.

Wie erwähnt ist dieses Dispositiv jedoch unverzichtbar, um einen wirtschaftlichen Betrieb der Anla- gen mit Eigenverbrauch sicherzustellen. Wenn die Tarife genügend hoch festgelegt werden, bieten sie einen starken Anreiz für flächendeckende Solaranlagen. Sollte der ganze Strommarkt also liberali- siert werden, müsste man dafür sorgen, dass diese Tarife weiterhin garantiert werden, ohne dass die Finanzierung auf Kosten der heutigen Instrumente erfolgt.

Der langen Rede kurzer Sinn: Das Potenzial der Solarenergie ist riesig und auch realistisch, doch die Schweiz muss faire Regeln aufstellen, um es zu verwirklichen und echten Fortschritt zu ermöglichen.