Eine verlorene Legislatur

Die Bürgerlichen haben in der laufenden Legislatur trotz satter Mehrheit im Parlament wenig erreicht. Das ist jedoch kein Grund zur Freude, denn für die Schweiz ist diese politische Lähmung besorgniserregend.  Eine Legislaturbilanz von Fraktionschef Roger Nordmann.

Durch den Wahlsieg 2015 erreichten die SVP- und die FDP-Fraktion ein absolutes Mehr von 101 Stimmen im Nationalrat. Diese numerische Übermacht demonstrierten die Rechtsbürgerlichen denn auch von Beginn weg. Als Erstes verschoben sie mit der Wahl von Guy Parmelin die Ausrichtung des Bundesrats nach rechts. Und mit der Einsetzung von Ignazio Cassis in die Landesregierung vollendeten sie die aus ihrer Sicht längst überfällige Korrektur.

Wenig rühmliche Sachpolitik
Was danach sachpolitisch folgte, ist wenig rühmlich: Im Eiltempo drückten die Bürgerlichen die Vorlage zur USR III durch und überluden sie dermassen, dass es ein Leichtes war, sie mit dem Referendum bachab zu schicken. Beim schwierigsten Dossier der Legislatur, der Altersvorsorge 2020 wollte sich die FDP – unter Federführung des damaligen Fraktionschefs (und Kommissionspräsidenten) Ignazio Cassis – à tout prix nicht einbinden lassen. Die Folge davon war die knappe Ablehnung dieser zukunftsweisenden Vorlage an der Urne.
Bei der Umsetzung der „Masseneinwanderungsinitiative“ machte die SVP keine Vorschläge und die CVP biederte sich bei ihr an, anstatt mitzuhelfen, die bilateralen Verträge zu retten. Schliesslich wurde zwar mit dem Inländervorrang eine akzeptable Lösung zwischen SP, FDP und kleinen Parteien ausgehandelt. Aber dieses Dossier zeigt exemplarisch, wie eine oder zwei bürgerliche Bundesratsparteien immer versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Was darauf folgte, ist eine Abfolge von wirren und ideologisch gefärbten Vorhaben. Etwa der Versuch von Parmelin, mit einem plebiszitären Verfahren einen Blankoscheck über 8 Milliarden für Kampfflugzeuge und Flugabwehr zu erhalten oder der versuch, die Stempelsteuer abzuschaffen (Kostenpunkt: 2,3 Milliarden). Sie sind zum Glück so schlecht aufgegleist, dass es den Bürgerlichen kaum gelingt, sie voranzutreiben.

Winkelzüge in der Gesundheitspolitik
Auffällig sind die Winkelzüge der bürgerlichen in der Gesundheitspolitik. Unter Federführung des damaligen FDP-Fraktionschefs und Krankenkassenlobbyisten Cassis hatte eine sehr knappe Mehrheit aus SVP und FDP die Zulassungsbeschränkung für freischaffende Ärztinnen und Ärzte in der ersten Session der Legislatur versenkt. Dies löste prompt einen Boom bei Praxiseröffnungen und einen Schub bei den Krankenkassenprämien aus. Deshalb wurde die gleiche Vorlage per dringliches Verfahren dem Parlament wieder vorgelegt und – allerdings zeitlich beschränkt – angenommen. Zurzeit versuchen die Bürgerlichen die Franchise zu erhöhen und die freie Wahl der Franchise in der obligatorischen Versicherung mit 3-Jahres-Verträgen auszuhebeln. Dass dies in krassem Widerspruch zu dem von ihnen heiss geliebten Wettbewerb steht, stört sie wenig. Und sie haben ein weiteres Vorhaben in der Pipeline: Die Versicherer sollen einseitig die Leistungen der mehrjährigen Zusatzversicherung begrenzen dürfen. Von wegen fairer Markt …

„You dreamer“
Die Liste der Absurditäten ist fast beliebig verlängerbar: Man könnte etwa die zahlreichen unausgegorenen Kürzungsvorschläge von SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi in der Budgetdebatte anführen. Im Vergleich dazu wirkt der mittlerweile gescheiterte Versuch von Bundesrat Schneider-Ammann, den Waffenexport zu lockern, wie eine dezente handwerklich Leistung.
Bundesrat Ignazio Cassis ist es in weniger als einem Jahr gelungen, die innenpolitische Allianz für die Bilateralen zu zerschlagen, indem er die flankierenden Massnahmen in den Verhandlungen zur Disposition stellte. Wohl in der naiven Hoffnung, die europäische Integration der Schweiz könne neu mit der SVP vorankommen. „You dreamer“, würde Magdalena Martullo-Blocher da wohl kommentieren.

Fortschritte dank Druck von aussen
In diesem politischen Umfeld ist es beinahe ein Wunder, dass es uns gelungen ist, eine akzeptable Vorlage für die Abschaffung der Sonderstati in der Unternehmensbesteuerung und für die Finanzierung der AHV zu schmieden. Das liegt wohl daran, dass der internationale Druck in der Steuerfrage hoch genug war und die FDP nach ihrem Feldzug gegen die Altersvorsorge 2020 eigentlich ziemlich ratlos dastand.
Auch bei der Einführung des automatischen Informationsaustausches in Steuerfragen war es schliesslich der Druck von aussen, der uns geholfen hat, den letzten Nagel in den Sarg des internationalen Steuerhinterziehungsgeheimnis einzuschlagen.
Aus linker Perspektive könnte man sich über so viel Unfähigkeit der Bürgerlichen freuen. Sie haben herzlich wenig erreicht. Für das Land ist diese politische Lähmung aber besorgniserregend. Die großen Herausforderungen unserer Zeit, vom Klimawandel bis zur Arbeitsmarktintegration, werden kaum angepackt. Es ist deshalb Zeit für eine Kurskorrektur. Dazu sind die Wahlen im Oktober 2019 da –
an die Arbeit, Genossinnen und Genossen!

Roger Nordmann, Nationalrat VD und Fraktionspräsident

PS: Geschrieben vor der Aushöhlung des CO2-Gesetzes im Nationalrat in Dezember 2018…