(Sonntagsblick, vers en Français)
Klimapolitik: zuhören und anpacken
Zwei Gründe waren für die Ablehnung des CO2-Gesetzes massgeblich: Einerseits das diffuse Gefühl, dass die grossen Fische nicht angefasst werden. Während es bei der Industrie unbegründet war, stimmte es beim Finanzplatz, zu welchem das Gesetz nur Lippenbekenntnisse beinhaltete.
Andererseits hatten insbesondere auf dem Land viele Menschen das Gefühl, dass sie von den Lenkungsabgaben bestraft statt für konkrete Schritte unterstützt würden. Obwohl die Rückerstattung mit zwei Drittel der Erträge sehr sozial ausgestaltetet war, drang dies im Abstimmungskampf nicht zur Bevölkerung durch. Auch eine komplette Rückerstattung der Erträge hätte daran nichts geändert. Abgelehnt wurde dieses ökoliberale Konzept im Übrigen von den bürgerlichen Wählerinnen und Wählern – entgegen der eigenen Parteiideologie. Hört man also auf die Stimme der Bevölkerung, muss die nächste Etappe in der Klimapolitik also ohne das Instrument der Lenkungsabgabe gedacht werden, auch wenn dies gewisse Wirtschaftsprofessoren und liberale Think-Thanks anders sehen.
Letztlich waren viele Menschen des ständigen Übereiferns immer strengerer Zielwerten und Jahreszahlen überdrüssig. Und auch der moralischen Appellen. Denn nüchtern betrachtet ist das Klimaproblem längerfristig eine Frage der Modernisierung öffentlicher und privater Infrastrukturen, nicht ein individuelles Verschulden.
Wie auch immer: das letzte Wochenende hat die Klimaerwärmung nicht zum Verschwinden gebracht. Die Politik darf jetzt nicht untätig sein. Sie muss zuhören und anpacken.
Eine soziale Klimapolitik ist zwingend
Der Abstimmungskampf hat klar gezeigt: Klimapolitik wird nur akzeptiert, wenn sie als gerecht und sozial empfunden wird. Der Staat soll mit einer gerechten Finanzierung den Menschen attraktive Handlungsangebote machen. Zudem sollen Finanzplatz und Industrie dazu verpflichtet werden, saubere Produkte auf den Markt bringen. Und letztlich müssen die Kosten gerecht verteilt werden.
Genau das machen die USA und die EU im Rahmen des Green New Deal: Sie lösen mit Bundesmitteln private und lokale Investitionen aus. Das schafft Mehrwert und Jobs. Da die öffentlichen Mittel über progressive Steuern und Verschuldung finanziert werden, ist der Deal sozial.
Die SP Schweiz schlägt deshalb eine auf das Wesentliche konzentrierte Strategie mit vier konkreten Vorschlägen vor, die wir bereits 2019 in unserem Marshallplan fürs Klima formuliert hatten.
1. Finanzplatz: Verbot von Investitionen in Kohle, Erdgas und Erdöl.
Der Hebel im Schweizer Finanzplatz ist riesig: Aus der Schweiz heraus werden viele grosse Investitionsentscheide getroffen. Neue Investitionen in Öl, Gas und Kohle müssen darum sofort verboten werden. Da dies die Bürgerlichen im Parlament niemals unterstützen werden, braucht es eine Volksinitiative. Die SP hat darum im Mai den entsprechenden Grundsatzentscheid gefällt, gemeinsam mit verschiedenen Organisationen eine entsprechende Initiative zu lancieren. Zugespitzt gesagt: Die grossen Fische des Finanzplatzes sollen dem Klima nicht mehr schaden.
2. Autoimporteure zur Elektrifizierung der Autos zwingen
Anstatt am Benzinpreis zu schrauben, sollten wir es wie das übrige Europa machen: 2030 dürfen Neuwagen im Schnitt nur noch zwei Liter Benzin verbrauchen. Das zwingt die Hersteller und Importeure, den Menschen attraktive Elektroautos anzubieten. Wir haben diese Norm schon, wenn auch etwas weniger streng. Schon heute zwingt sie die Importeure, Elektroautos zu vermarkten. Würden wir die europäischen Regeln für 2030 übernehmen, wären zu diesem Zeitpunkt zwei Drittel der Neuwagen elektrisch. Auto-Schweiz, der Verband der Autoimporteure, hat vor und nach der Abstimmung bestätigt, mit der europäischen Norm einverstanden zu sein. Der Clou: da Elektroautos viel weniger Energie brauchen, sparen die Menschen Geld. Ein attraktives Angebot für ländliche Regionen und Berggebiete.
3 Staatlich finanzierte Förderprogramme für die Häusersanierung
Wer als Eigentümer sein Haus saniert, soll vom Bund ein attraktives Unterstützungsangebot erhalten. Bei Mietwohnungen soll die Unterstützung etwas höher sein, falls sich der Eigentümer verpflichtet, auf eine Mietzinserhöhung nach der Sanierung zu verzichten.
Der Bund soll sich dafür mit Greenbonds verschulden, die bei den Anlegern sicher auf reges Interesse stossen werden. Nimmt der Bund über zehn Jahre 20 Milliarden Franken mit einer 30- oder 50-jährigen Laufzeit auf, werden wir bei den Gebäuden einen Riesenschritt nach vorne machen.
Im Rückblick werden wir sagen können, dass der Plan 100 Milliarden Franken an Investitionen ausgelöst und sich gelohnt hat. Vor allem werden wir damit rund eine Million Wohnungen und Häuser saniert haben – ein riesiger Gewinn an Effizienz und Sauberkeit.
Sich im aktuellen Umfeld der Niedrigzinse so zu verschulden und eine fünfmal grössere Investition auszulösen, ist finanzpolitisch äusserst vernünftig. Umso mehr als dereinst die ansteigende Teuerung die relative Last dieser Schuld automatisch verringern wird, wie das historisch immer der Fall war.
4: Alternativangebot zu Kurzstreckenflügen
Keine Frage: Der Luftverkehr bleibt ein Riesenproblem für das Klima. Eine technische Lösung mit sauberen Kerosin ist, wenn überhaupt, nur längerfristig möglich. Als erster Schritt sollte man darum zuerst die Bahnangebote attraktiver machen. Es braucht nicht nur Nachtzüge, sondern auch viel bessere Tagesverbindungen im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz: pro Tag sollte es je drei Direktverbindungen nach Neapel, Brüssel, London, Barcelona, Amsterdam, Bordeaux, Warschau usw. geben. Aktuell zahlt der Luftverkehr keine Mehrwertsteuer und auch keinen Zoll auf Treibstoffe. Solange dieses ungeheure Steuerprivileg nicht abgeschafft wird, ist es legitim, Bahnverbindungen öffentlich zu finanzieren. So teuer ist es nicht, denn man kann auf bestehende Linien zurückgreifen. Nur der Betrieb muss unterstützt werden.
Abgelehnt wurden die Massnahmen, nicht das Klimaziel
Das Nein zum CO2-Gesetz war kein Nein zu Klimaschutz: Viele der Neinstimmenden wollen das Klimaproblem anpacken, waren aber mit den Massnahmen nicht einverstanden. Mit dem oben skizzierten sozialen und konkreten Ansatz können diese Bedenken berücksichtigt werden. Bundesrat und Parlament sollen deshalb nicht zuwarten, sondern diese Projekte rasch anpacken.