Bericht im Hinblick auf die Volksabstimmung vom 4.3.2018 zu No-Billag (Als PDF herunterladen) (en français) (Italiano)
Roger Nordmann
Nationalrat, Präsident der SP-Fraktion
Inhaltsverzeichnis
1 Die Diskussion der zentralen Fragen ist eine der grossen Herausforderungen in der No Billag-Kampagne.
2 No Billag, eine Initiative mit Guillotinewirkung
3 Kein Rappen Unterstützung mehr von Seiten des Bundes per Ende 2018
4 Rascher und völliger Zusammenbruch der SRG
5 Eine Kaskade von Katastrophen für die mediale und kulturelle Ausstrahlung der Schweiz.
6 Eine überstürzte Versteigerung
7 Nur noch das Gebot des Meistbietenden zählt, unabhängig von Vorgaben
8 Ein Vorgehen wie massgeschneidert für Milliardäre
9 Extrem minimalistische Programme
10 Von den Initianten gewollte katastrophale Auswirkungen
1 Die Diskussion der zentralen Fragen ist eine der grossen Herausforderungen in der No Billag-Kampagne
Die direkte Demokratie ist keine einfache Übungsanlage. Im Kern geht es oftmals darum, Entscheidungen von grosser Tragweite zu fällen. . Damit die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sich in Kenntnis einer Sachfrage äussern können, ist es notwendig, dass Abstimmungsvorlagen so verständlich als möglich, eindeutig und klar formuliert sind und dass keine manipulative Absicht dahintersteckt. Darüber hinaus muss eine Abstimmungskampagne auf die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung und deren effektive Auswirkungen fokussieren und nicht auf irgendwelche beliebigen Nebenthemen.
Die am 9. Februar 2014 angenommene « Masseneinwanderungsinitiative » hat uns die Wichtigkeit dieser beiden Notwendigkeiten deutlich vor Augen geführt. Zum einen fehlte es dem von der SVP vorgeschlagenen Verfassungstext an Klarheit, er enthielt sogar Widersprüche. Andererseits kreisten die Debatten in einer lange dauernden und intensiven Kampagne in vielen Fällen um Nebenschauplätze, von der Raumplanung bis zur Frage der Sitzplätze in den Zügen. Nach und nach ging das Hauptthema der Abstimmungsvorlage, die zentrale Frage der Beziehungen der Schweiz zur EU, verloren. Am Tag nach der Abstimmung folgte das böse Erwachen.
Angesichts der sich intensivierenden Debatten rund um die No Billag-Initiative besteht erneut das Risiko, dass die öffentliche Meinung auf nebensächliche Themen gelenkt wird. Diese Gefahr besteht trotz der Tatsache, dass die zur Diskussion stehenden Forderungen diesmal sehr klar formuliert sind. Tatsächlich gibt es kaum eine Frage, die eine breitere gesellschaftliche Debatte provozieren könnte als die Infragestellung von Radio und Fernsehen. Deren Programme, deren Funktionieren, deren Themen und Kosten führen zu unendlichen Kontroversen. Damit der demokratische Volksentscheid vom 4. März 2018 seriös und solid gefällt werden kann, ist es von grosser Bedeutung, dass sich die Diskussionen um die effektiven Folgen drehen, die bei einer Annahme der Initiative resultieren würden.
2 No Billag, eine Initiative mit Guillotinewirkung
Zumindest einen Vorwurf kann man den Initianten der No Billag-Initiative nicht machen, den der Differenziertheit. Ihre Initiative wirkt wie eine Guillotine. Sie verbietet es dem Bund grundsätzlich, Radio oder Fernsehen zu betreiben. Sie untersagt es zudem, Gebühren zu erheben bzw. von Dritten zu deren Finanzierung erheben zu lassen. Weiter beinhaltet die Initiative das Verbot auch nur der kleinsten Unterstützung an ein wie auch immer geartetes Angebot im Bereich Radio oder TV. Im Gegenzug verlangt sie, dass der Bund regelmässig die Versteigerung von Radio- und TV-Konzessionen vornimmt. (Link zum vorgeschlagenen Verfassungstext)
Zu diesen einschneidenden Massnahmen hinzukommt, dass der Text Übergangsbestimmungen beinhaltet, die die extreme Ungeduld der Initianten verraten. Diese sehen vor, dass der Bundesrat die erforderlichen Ausführungsbestimmungen direkt und ohne Einbezugs des Parlaments erlässt, sollte dieses die gesetzlichen Bestimmungen am 1. Januar 2018 nicht rechtskräftig verabschiedet haben. Trotz Einhaltung aller Fristen durch die Behörden findet die Abstimmung aber erst im März 2018 statt.
Die Absurdität der Frist vom 1. Januar 2018 ist den Initianten nicht gänzlich entgangen, denn sie haben selber vermutet, dass diese nicht eingehalten werden kann. Für diesen Fall sieht die Übergangsbestimmung vor, dass die erforderlichen Ausführungsbestimmungen auf den nächstfolgenden 1. Januar, also 1. Januar 2019, in Kraft treten, wenn die Annahme der Initiative nach dem 1. Januar 2018 erfolgen würde. Es ist aber offensichtlich, dass selbst bei einer beschleunigten parlamentarischen Behandlung ein Gesetz nicht zwischen dem 4. März 2018 und dem Ende desselben Jahres verabschiedet werden könnte. Die Folge wäre, dass der Bundesrat im Falle einer Annahme der Initiative gezwungen wäre, sie auf dem Verordnungsweg umzusetzen, der gesetzliche Rahmen müsste im Nachhinein angepasst werden.
3 Kein Rappen Unterstützung mehr von Seiten des Bundes per Ende 2018
Die Initiative lässt keinen Zweifel an den massiven Folgen: Im Falle der Annahme wäre 2018 das letzte Jahr, in dem eine Abgabe erhoben würde. Für den Bundesrat hat dies zwei unmittelbare Konsequenzen. Er wäre gezwungen, die Arbeiten am neuen Gebührensystem, das die Stimmbevölkerung 2015 in einer Volksabstimmung beschlossen hat, abzubrechen. Zudem müsste er den Vertrag mit der Firma auflösen, die als Nachfolgerin von Billag für die Gebührenerhebung zuständig ist. Vor allem aber stünden der SRG ab 1. Januar 2019 neben den Werbeeinnahmen keinerlei zusätzliche Mittel mehr zur Verfügung. In Anbetracht der verfassungsrechtlichen Vorgaben aufgrund von No Billag könnte der Bund nicht einmal eine Übergangsfinanzierung, beispielsweise während zwei Jahren, sprechen, um es der SRG zu ermöglichen, sich an die neuen Umstände anzupassen oder um schlicht und einfach die Abwicklung vorzunehmen.
Rein rechnerisch würde die SRG noch über die 2018 erhobenen Gebührenmittel von rund 1,2 Milliarden Franken verfügen. Für das Budget 2019 müsste sie sich noch mit einem Sockelbetrag von 300 Millionen Franken aus den Werbeinnahmen begnügen. Dabei handelt es sich aber um eine rein theoretische Sichtweise. Im Falle eines Ja würden die Ressourcen viel rascher wegbrechen als Folge sich gegenseitig verstärkender Abwärtsspiralen.
4 Rascher und völliger Zusammenbruch der SRG
In Realität ist es sehr wahrscheinlich, dass die Einnahmen der SRG bereits 2018 wegbrechen. Wird die Abgabe am 4. März abgeschafft, wer bezahlt dann noch für Sender, die ihre Existenzberechtigung verloren haben? Viele Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen würden keine Gebühr mehr bezahlen wollen, die ihre rechtliche Grundlage verloren hat. Im schlimmsten Fall ist davon auszugehen, dass die Hälfte der Gebührenzahlerinnen und -zahler keinen Beitrag mehr entrichtet. Daraus würde ein Verlust von über 500 Millionen Franken resultieren. Gleichzeitig würden die Werbekunden das Anzeigevolumen reduzieren oder gleich ganz darauf verzichten angesichts eines Medienanbieters ohne Zukunft, dessen Fortbestand die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in einer Volksabstimmung abgelehnt haben. Gut hundert Millionen Franken könnten auf diese Weise zusätzlich und rasch verloren gehen.
Umgekehrt könnten Unternehmen und Zulieferer, die mit der SRG zusammenarbeiten, ab März Vorauszahlungen verlangen aus Angst, dass ihre Rechnungen nicht beglichen werden könnten.
Zusätzlich wäre die SRG gezwungen, einen umfassenden Sozialplan vorzusehen. Angesichts von Tausenden von Entlassungen, die einen Beitrag von rund 100‘000 Franken pro Person erforderlich machen, könnten sich die Eigenmittel der SRG in Nichts auflösen.
Geschwächt durch diese sich überlagernden Effekte besteht das Risiko, dass die SRG selber ihre Abwicklung 2018 oder spätestens 2019 in die Wege leiten müsste. In einem ersten Szenario erfolgt die Entlassung der Mehrheit der Angestellten bis zum 31. Dezember 2018, Anfang 2019 gehen dann die Lichter ganz aus. In einem zweiten Szenario denkbar wäre der Verkauf aller Aktiven, Werte, Sender und zentralen Infrastrukturen in der begrenzten Hoffnung auf eine „Mini-SRG“, die sich an den Versteigerungen der Konzessionen beteiligt, wie es No Billag vorsieht. Ein drittes Szenario, das nicht ausgeschlossen werden kann, wäre schlicht und einfach der Konkurs.
5 Eine Kaskade von Katastrophen für die mediale und kulturelle Ausstrahlung der Schweiz
Die Zerschlagung der SRG als Folge einer Annahme der Initiative wäre für die Schweiz sehr schmerzhaft. Abgesehen vom rasch voranschreitenden Sendeschluss bei den Programmen und von den unvermeidbaren Entlassungen würde der Untergang von Medien des Service public zahlreiche Akteure mit in den Abgrund ziehen.
In einem ersten Schritt würden alle grossen Investitionen der SRG in Immobilien und Technologien gestoppt mit einer Kaskade von gravierenden Folgen für grösstenteils einheimische Zulieferer. In den nächsten fünf Jahren geht es dabei um sehr namhafte Beträge. Eine weitere Folge wäre die Auflösung des Pacte de l’audiovisuel, mit dem die SRG Filmförderung betreibt und als Folge davon würden die Beiträge an die Schweizer Filmbranche eingestellt. Die private Filmbranche müsste auf Dutzende von Millionen Franken verzichten. Die Auswirkungen auch auf andere Sektoren wären dramatisch.
Gleichzeitig müsste die direkte Unterstützung von Orchestern gestoppt werden mit der Folge, dass die betroffenen Musikinstitutionen nicht überleben könnten oder zumindest mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen hätten. Darüber hinaus müssten Hunderte von Partnerschaften im Kulturbereich und im Bereich von Festivals aufgekündigt werden. Das würde die Organisatorinnen und Organisatoren vor gravierende Probleme stellen, insbesondere was die Suche von Sponsorinnen und Sponsoren angeht.
Auch der Sport wäre massiv betroffen. Sportanlässe, die in der Schweiz stattfinden wie die Tour de Suisse, die Tour de Romandie oder das Lauberhornrennen, um nur einige zu nennen, wären in Frage gestellt.
Die negativen Auswirkungen bekommen auch die privaten Medien zu spüren. Am Tag nach einem Ja zu No Billag kämen 34 private Radios und Fernsehsender massiv unter Druck und wären in den nachfolgenden Monaten von existenziellen Nöten geplagt. Der Anteil aus den Gebührengeldern, der ihnen heute zugutekommt, macht einen substanziellen Anteil an ihren Einnahmen aus, teilweise sind es bis zu 70%.
Fazit ist, dass die Schweizer Kultur und der Schweizer Sport die Leidtragenden bei einer Abschaffung der Gebühren und dem Verschwinden der SRG wären. Insgesamt würde die Schweiz massiv an Ausstrahlung und Sichtbarkeit verlieren, indem sie sich sehr rasch auch aus ihren internationalen Beteiligungen zurückziehen müsste wie beispielsweise bei TV5 oder 3sat.
6 Eine überstürzte Versteigerung
Gleichzeitig mit der soeben skizzierten katastrophalen Verkettung von Ereignissen rund um die SRG müsste der Bund sofort und überstürzt die Versteigerung der Radio- und Fernsehkonzessionen aufgleisen. Diese Übung müsste am 1. Januar 2019, an dem das neue Regime gemäss No Billag in Kraft tritt, umgesetzt werden. Ansonsten gäbe es in der Schweiz angesichts des zu erwartenden Zusammenbruchs der SRG kein Radio oder Fernsehen mehr, zumindest solange, bis diese gloriosen Konzessionen eine Käuferin oder einen Käufer gefunden haben. Da der Text bei diesem Punkt nicht zu hundert Prozent eindeutig ist, könnte es sein, dass die lokalen Radio- und Fernsehstationen weiterhin senden könnten. Aber, werden sie ohne Anteil aus den Gebührengeldern überleben? Und falls Ja, mit welcher Produktionskapazität?
Auf jeden Fall scheint es wenig wahrscheinlich, dass die neuen Konzessionsnehmer in der Lage wären, ab Tag der Konzessionserteilung auf Sendung zu gehen. Wahrscheinlich wären Rekursfristen zu beachten, wie es bei öffentlichen Beschaffungen der Fall ist.
Auf jeden Fall müsste der Bundesrat in aller Eile eine Versteigerung für Herbst 2018 organisieren, um so zu verhindern versuchen, dass die Schweiz nicht während eines unbestimmten Zeitraums ohne Radio- und Fernsehkanäle auskommen müsste.
7 Nur noch das Gebot des Meistbietenden zählt, unabhängig von Vorgaben
Der Wortlaut der Verfassungsbestimmung sieht explizit vor, dass es sich um eine Versteigerung von Konzessionen handelt und nicht um eine Ausschreibung, die auf mehreren Kriterien beruht. Das bedeutet, dass der Meistbietende die Konzession erhält (vermutlich würde jede Konzession einer separaten Versteigerung unterliegen, auch wenn der Text diesbezüglich keine Vorgaben enthält).
Auch muss beachtet werden, dass die Bestimmungen des aktuell gültigen Artikels 93 BV aufgehoben würden, da sie durch die neuen der Initiative ersetzt würden. Damit würde die Verpflichtung für Radio und Fernsehen, zu Bildung und zur kulturellen Entfaltung sowie zur freien Meinungsbildung und zu Unterhaltung beizutragen, aufgehoben. Auch die Berücksichtigung der Vielfalt der Ansichten, der Besonderheiten des Landes und der Bedürfnisse der Kantone wäre nicht mehr in der Verfassung erwähnt. Und zu guter Letzt wäre die Möglichkeit, Programmbeschwerden einer unabhängigen Beschwerdeinstanz vorlegen zu können, gestrichen.
Es ist offensichtlich, dass der Bundesrat als Folge dieser Bestimmungen gegenüber den Konzessionärinnen und Konzessionären kaum irgendwelche Vorgaben machen könnte. Die Auflagen, die die SRG bezüglich Unparteilichkeit, Diversität, Gleichstellung, Respekt gegenüber den Sprachen, Kulturen und Randregionen erfüllen muss, werden in der Verfassung nicht mehr abgebildet. Entscheidend für die Konzessionsvergabe wäre nur noch das Gebot des Meistbietenden.
8 Ein Vorgehen wie massgeschneidert für Milliardäre
Wer würde von einem solch plumpen Vorgehen frei von irgendwelchen Werten profitieren? Vier Arten von Akteuren könnten an einer Versteigerung à la Billag interessiert sein.
- Theoretisch hätte die SRG, die juristisch gesehen ein Verein ist, das Recht mitzubieten. Sie verfügt über Erfahrung, einen guten Ruf und über die notwendigen Strukturen für ein legitimes und glaubwürdiges Angebot. Aber sie wäre, wie oben ausgeführt, zum Zeitpunkt der Versteigerung in einer katastrophalen finanziellen Situation und damit nicht in der Lage, eine Konzession erwerben zu können.
- Vermutlich würden die grossen schweizerischen oder ausländischen Medienanbieter wie Tamedia, Ringier/Springer, Bertelsmann oder RTL ins Rennen steigen. Interessiert sein könnten auch Netzgiganten wie Facebook, Netflix oder Google. Auch Unternehmen wie Migros oder Coop könnten sich ins Spiel bringen. Auf der anderen Seite ist es eher unwahrscheinlich, dass die mehrheitlich in öffentlicher Hand befindliche Swisscom mitbietet. Für alle diese Akteure wird es entscheidend sein, dass der Preis für die Versteigerungen nicht zu hoch ist. Denn nachdem sie eine Konzession erworben haben, müssten sie noch bedeutende Mittel in die Infrastrukturen, die Personalsuche und den Aufbau der Programme investieren. Diese Investitionen erfolgen in der Hoffnung, dass sie damit Gewinne erzielen, eine Erwartung, deren Erfüllung mehr als ungewiss ist.
- Kantone und Gemeinden sind die dritte Art von Akteuren, die in Betracht kommen könnten. Grundsätzlich steht ihrer Teilnahme – direkt oder in einem Zusammenschluss – an einer Versteigerung nichts entgegen. Diese öffentlichen Körperschaften müssten aber vermutlich zuerst die Unterstützung ihrer Parlamente, das heisst der Bevölkerung, einholen, bevor sie sich in so risikoreiche Aktivitäten stürzen könnten. Zudem wären sie mit denselben Problemen konfrontiert wie die vorgängig genannten Akteure, verbunden mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass sie nur über beschränkte Finanzmittel verfügen.
- Es existiert ein vierter Typ, der an Versteigerungen teilnehmen könnte: Milliardäre, die den Kurs von Politik und Gesellschaft beeinflussen wollen. Im Wissen darum, dass die Schweiz keine genügend wichtige Rolle in der Welt spielt, als dass reiche Ausländerinnen und Ausländer Medien aufkaufen wollten, handelt es sich um Schweizer Superreiche, die Interesse zeigen könnten. Namen, die sich aufdrängen, sind die Blocher-Familie, Walter Frey oder andere Akteure mit Geld und Macht, deren Sendungsbewusstsein vielleicht etwas weniger ausgeprägt ist. Beispiele aus Amerika oder Italien machen deutlich, dass die Superreichen gerne der Idee nachleben, via Kontrolle der Medien einen entscheidenden Einfluss auf ihr eigenes Land auszuüben.
Es braucht keine langen Abhandlungen, um zu verstehen, dass die vierte Kategorie, die Milliardäre, die besten Chancen hat, bei den Versteigerungen zu gewinnen. Sie verfügen über beträchtliche Geldmittel und sind gegenüber keiner Aktionärin und keinem Aktionär rechenschaftspflichtig, was ihre Geschäftsführung angeht, im Gegensatz zu Medienunternehmen, die der Rentabilität verpflichtet sind. Zudem müssen sie ihre Politik gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht transparent machen, wie dies bei Kantone und Gemeinden Pflicht ist.
9 Extrem minimalistische Programme
Das Motiv von Jemandem, der eine Konzession erwirbt, wer auch immer das sein mag, wird in erster Linie die Rentabilität sein. Auch ein Milliardär möchte seinen ideologischen Appetit zu möglichst tiefen Kosten befriedigen. Die Kleinheit des Schweizer Markts, insbesondere der französisch-,italienisch- und rätoromanischsprachigen Regionen, stellt ein grösseres Hindernis hinsichtlich der Rentabilität dar. Dieses Hindernis dürfte noch wachsen als Folge der abnehmenden Werbung im TV, die ins Internet abwandert.
Die Abnahme von Werbeeinnahmen, unter denen heute die Printpresse leidet, könnte das Fernsehen in den kommenden Jahren massiv treffen. Diese negativen ökonomischen Parameter führen dazu, dass die einzigen Finanzquellen für Radio und TV aus dem ideologisch interessierten „Mäzanat“ von Superreichen stammen sowie aus dem kommerziellen Sponsoring von Einzelsendungen.
In diesem Umfeld werden programmliche Minimalangebote die künftige Medienlandschaft prägen. Bevorzugt werden Sendeminuten, die zum günstigsten Tarif produziert werden können. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass das Fernsehangebot auf eine Folge von billig produzierten Talkshows, Jasspartien und auf zu Discountpreisen gekaufte Serien schrumpfen wird. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass die Besitzerinnen und Besitzer von Sendern versuchen werden, einen Teil ihrer Produktionen nach dem System von Pay-TV zu verkaufen. Der Erfolg von solchen Aktivitäten ist nicht garantiert. Wer würde 20 Franken bezahlen, um die Bundesratswahlen zu verfolgen, 30 Franken für einen Schweizer Cup-Final oder 90 Franken für einen Europa-Cup?
Nach einer ersten schmerzlichen Phase der Versteigerung von Konzessionen dürfte das Parlament eine Botschaft des Bundesrats erhalten, die zum Ziel hätte, die aktuelle Gesetzgebung zu Radio und Fernsehen umfassend zu revidieren. Es würde ein grosser politischer Kampf geführt werden rund um die Frage, welche Garantien und Erwartungen in Bezug auf die Inhalte in der neuen Gesetzgebung verankert werden müssten, die im Zeithorizont bis 2022 in Kraft treten könnte. Könnte man neue, konzessionierte Radio- und TV-Kanäle dazu verpflichten, Meinungsvielfalt und regionale Vielfalt zu respektieren, ohne dass sie dafür Mittel erhalten würden? Sicher ist, dass diejenigen, die hohe Beträge in den Erwerb von Kanälen gesteckt haben, nicht zögern werden, einige zusätzliche Millionen in das Lobbying zu investieren, um so auf eine schwache Gesetzgebung hinzuwirken. Und: Wäre es wirklich möglich, verbindliche Vorgaben gegenüber privaten Akteuren festzulegen, die sich mit wenig rentablen Aktivitäten begnügen müssen? Würden diese nicht vielmehr wie grosszügige Patriotinnen und Patrioten dastehen, auf die man Rücksicht nehme müsste? Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Ist die SRG einmal zerschlagen, wird kein Prinz sie wieder wachküssen können.
10 Von den Initianten gewollte katastrophale Auswirkungen
Diese Ausführungen sind kein Argumentarium, , um der No Billag-Initiative etwas entgegenzuhalten. Vielmehr handelt es sich um die Beschreibung der kausalen Folgen, die direkt aus den extrem scharf formulierten verfassungsrechtlichen Bestimmungen resultieren.
Eines zumindest muss man No Billag zugestehen: die extreme Deutlichkeit der Massnahmen und des Fahrplans . In diesem Sinne ist die Zerschlagung der SRG-Programme nicht eine hypothetische Möglichkeit als Folge der Abstimmung, sondern vielmehr das gewollte und nicht verborgene Ziel der Initianten. Vorzugeben, dass No Billag nur die Gebühren abschaffen und dabei gleichzeitig die SRG erhalten will, heisst den Bürgerinnen und Bürgern weismachen zu wollen, dass ein Flugzeug weiterfliegen kann, auch wenn der Tank leer ist.
Die Debatte dreht sich deshalb weder um die Frage, was die SRG tun soll und was sie nicht tun soll oder welche Kanäle und welche Sendungen weiter laufen oder gestoppt werden sollen, noch dreht sie sich um die Frage, welcher Beitrag für den Service public zur Verfügung stehen muss. Die Frage, die die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 4. März beantworten müssen, lautet ganz einfach und brutal: Wollen wir in kurzer Zeit und ohne Übergang Radio und TV im Service public abschaffen, dem Bund deren Finanzierung verbieten und die bestehenden Kanäle in Versteigerungen an den Meistbietenden verscherbeln oder wollen wir das eben nicht?